Ich bin eine Frau – also gehe ich gerne einkaufen. Ich kann mich ohne Probleme auch über einen längeren Zeitraum in einer Gemüseabteilung aufhalten. Mit der Auswahl des richtigen Honigs verbringe ich gefühlte Stunden. In fremdländischen Geschäften verliere ich mich beim Betrachten der feilgebotenen Gewürze und Ingredienzien.
Ich bleibe gelassen, wenn ich an der Käsetheke in der Schlange warten muss. Schließlich kann man diese Minuten sinnvoll nutzen und in Gedanken den Einkaufszettel konkretisieren: „5 Scheiben Gouda bitte, ein Stückchen von dem roten Käse hier, der Camembert im Angebot, ist der gut?“. Andere antworten auf die Frage des Fachpersonals „Was darf’s denn sein?“ gerne mit einem „Jaaaa. Was nehm‘ ich denn mal…???“. Sie betrachten die Auslage mit einem so entzückt-erstaunten Gesichtsausdruck, dass man meint, die Pracht in der Kühltheke sei ganz plötzlich und erst durch die Frage der Bedienung für sie sichtbar geworden.
Auch Erlebnisse an der Kasse haben meinen Erfahrungshorizont schon häufig nutzlos erweitert. Erst neulich studierte eine Kassiererin in Seelenruhe die Zutatenliste einer Dose Gulaschsuppe, bevor sie sie über das Lesegerät für den Barcode zog. Ich war irritiert, sagte mir aber „Diese Dose gehört nicht mir, sondern dem Chef der freundlichen Dame, die sich hier gerade auch im Detail für das Sortiment ihres Arbeitgebers interessiert. Ich freue mich, dass es dieser Mitarbeiterin in besonderem Maße gelingt, sich ihre Neugierde zu bewahren und sich für ihre Arbeit zu interessieren.“
In Lebensmittelgeschäften stößt man auch auf Menschen, von denen meine Oma behauptet hätte „Die wissen vorne nicht, dass sie auch hinten leben“. Ich meine die, die sich in Geschwindigkeiten bewegen wie ein Schattenboxer. Sie wählen mit sehr viel Sorgfalt die Stelle aus, auf die sie planen, ihren Fuß zu setzen. Diese Menschen gehen so langsam, dass Sargträger sie überholen würden.
Haben sie es erst einmal bis zur Kasse geschafft, legen sie sehr bedächtig die Ware aufs Band und anschließend ebenso akkurat zurück in den Einkaufswagen. Vermutlich würden sie am liebsten jedes Gummibärchen einzeln aufs Band legen – am allerliebsten farblich sortiert. Sie arbeiten sich von Apfel zu Apfel bis zu den Zitronen vor.
Beim letzten Einkauf hatte ich so ein Exemplar vor mir. Sie war mir schon in der Obst- und Gemüseabteilung aufgefallen, wo sie eine Tomate nach der nächsten zärtlich streichelnd auf die Waage legte.
Als sie einen Schritt vor mir die Kasse erreichte, lächelte ich noch gönnerhaft. In der Zeit, in der die Dame eine spärliche Auswahl an Produkten zusammengetragen hatte, hatte ich in meinem Einkaufswagen einen Berg an Lebensmitteln angehäuft, dessen Erstbesteigung Reinhold Messner als Herausforderung empfunden hätte.
Als ich beobachtete, wie die Dame vor mir das Band mit ihrem Einkauf bestückte, kamen mir erste Zweifel. Ich überlegte, ob ich noch schnell nach rechts ausweichen sollte, als ein Mann mit sieben Bierkästen und einem dazu passenden Bauch hinter mich trat, den Fluchtweg versperrte und mein Schicksal besiegelte.
Die Dame vor mir hatte inzwischen die sorgsam ausgewählten vier Tomaten aufs Band gelegt. Ich starrte zum Zeitvertreib auf die verbliebenen Lebensmittel in ihren Einkaufswagen. Vollkornspaghetti. Ich überlegte, ob die arme Frau vielleicht ihre gesamte Energie für die Verdauung vollwertiger Produkte aufwenden musste. Fast war ich versucht, ihr bei der Verlagerung des Einkaufs vom Wagen aufs Band kurz zur Hand zu gehen.
„Haben Sie die Tomaten nich‘ gewogen?“, fragte die Kassiererin. „Doch, doch, der Aufkleber muss hier irgendwo sein.“ Vorsichtig hob sie jedes Lebensmittel hoch, drehte und wendete es vor ihrem Gesicht. „Mmh. Jetzt kann ich ihn doch auch nicht finden. Warten Sie, ich geh‘ schnell noch mal zur Waage.“ „Schnell?“, dachte ich und musste über so viel Ironie lachen.
Zum Glück war die Dame wieder an der Kasse, als gerade das Paket Jodsalz über den Scanner wanderte. „0,17 €“ quittierte das Display der Kasse den Vorgang mit einem Pieps. „15 Cent!“, richtete die Einkäuferin das Wort vorwurfsvoll an die Kassiererin. „Das ist diese Woche im Angebot!“
Ich holte mein Handy aus der Handtasche, um bis zur Klärung der Preisfrage ein paar Mails zu beantworten.
„Das macht dann 27,14€“, vernahm ich nach einiger Zeit und freute mich. „Ach Moment, ich habe hier noch irgendwo einen Leergutbon.“ Mein Lächeln gefror. „Dann sind es noch 22,49€“. Ich nickte und hoffe, damit den Vorgang beschleunigen zu können. „Wie viel?“, fragte die Dame zur Sicherheit nach und starrte auf das Display der Kasse. „Das macht bitte 22,49 €.“, antwortete die Kassiererin und lächelte mild. Die Dame war erkennbar bemüht, das Gehörte mit dem Gelesenen in Einklang zu bringen.
„Ach ja.“, seufzte die Dame vor mir und bemerkte, dass es nun an ihr war, den Einkauf gegen Bares auszulösen. Sie begann, in der Handtasche nach dem Portemonnaie zu fahnden. „Wie viel war es noch gleich?“ „22,49“, antworteten die Kassiererin, der Mann mit den sieben Bierkästen und ich einträchtig. Die Dame vor mir hatte inzwischen ihr Portemonnaie gefunden. Es klingelte unheilvoll, als die Einkäuferin den Inhalt des Münzfachs auf die kleine Plexiablage für das Wechselgeld schüttete.
„Moment, ich glaube, ich habe es passend.“