
Sich öffentlich an schlechten Sprachgewohnheiten Anderer zu reiben, ist gefährlich. Wer kann schon von sich behaupten, fehlerfrei in Schrift und Vortrag zu sein?
Ich genauso leider wie sicher nicht.
Warum erhalten Lehrer, die „größer wie“ sagen, eine Unterrichtserlaubnis? Muss sich der Handwerker beeilen, wenn er so schnell als möglich die Wand streichen soll? Wo muss ich hin, wenn ich mich auf Zimmer 115 melden muss? Eine Etage höher in Zimmer 215?
Wo gehen morgens die Menschen hin, die nachmittags am Telefon ihrem Liebsten ins Ohr flöten, sie seien noch in der Arbeit? Wie haben die es aus dem Büro in die Arbeit geschafft? Ach, klar: Sie werden sich reingestürzt haben!
Gibt es ein Mindesthaltbarkeitsdatum für Überlegungen, die nur angedacht wurden? Bis wann müssen sie zu Ende gedacht werden und versperren halbfertigen Gedanken nicht in der Zwischenzeit die Hirnwindungen?
Es scheint sich durchzusetzen, „Email“ statt „E-Mail“ zu schreiben. Was hat Email wohl mit elektronischer Post zu tun? Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch die Dudenredaktion sich der Übermacht der Masse beugt und einknickt.
Warum darf „erinnern“ nicht mehr reflexiv sein? Wurde das „sich“ an anderer Stelle dringender benötigt?
Plötzlich sinnieren scheinbar oder anscheinend gebildete Menschen mit entrücktem Blick und sagen „Ich erinnere eine glückliche Kindheit“. Dabei schaben sie sich mit dem Handrücken geräuschvoll das stoppelige Kinn. An wen oder was wollen sie die Kindheit erinnern? Kann man die Kindheit an etwas oder jemanden erinnern oder ist es dafür nicht schon seit der Pubertät zu spät?
Ich bin froh, dass sie ganz reflexiv an sich schaben und nicht an mir! Daran würde ich mich nicht gerne erinnern!
Ich glaube außerdem, einen neuen Sprechtrend herauszuhören. Dies und das haben ausgedient. Es lebe dis!
Man ruft nicht mehr begeistert „Ja, das ist es!“. Nein, man zischelt neumodisch „Ja, dis isses!“. Das klingt, als wollte einer vornehm berlinern. „Dit“ oder „det“? Viel zu proletarisch! „Dis“ ist die Form für die, die sich hauptstädtisch geben und gleichzeitig durchsickern lassen möchten, dass sie es auch hochdeutsch machen könnten.
Viel Freude bereitet mir auch die zunehmende Veganisierung des Lebens! Zunächst dachte ich, ich würde Menschen andere Menschen fragen hören „Isst Du vegan?“ Tatsächlich behaupten immer mehr von sich, vegan zu sein. Ich bin glücklich. Der Nudelauflauf ist vegan.
So geht es. Der Nudelauflauf kann ebenso wenig glücklich (oder traurig) sein wie ich vegan.
Wie sollte dis auch möglich sein? Vegan heißt fleischlos. Wer als Mensch fleischlos ist (nicht isst), kann es von sich nicht mehr behaupten. Wer vom Fleisch gefallen ist, kann nicht mehr sprechen. Der fleischlose Mensch liegt mit sauber abgenagten Knochen in der Kiste oder macht aufgeständert eine zweite Karriere als Studienobjekt an der humanmedizinischen Fakultät.
Auch die Übersetzung mit „pflanzlich“ hilft hier nicht weiter. Der pflanzliche Mensch? Ich höre Biologielehrer rufen „Dis macht Sinn, wenn Du jetzt mehr Gemüse isst wie früher!