Die Beichte – Teil 1

Was für ein Tag – und das Schlimmste stand Andrea noch bevor! Die Füße waren geschwollen und sehnten sich nach Befreiung aus den Schuhen. Sie kickte die Schuhe nacheinander in Richtung Schuhregal. Ah, tat das gut jetzt barfuß auf dem kühlen Holzboden zu stehen.

Bevor Rainer gleich nach Hause kommen würde, brauchte sie auf jeden Fall noch eine Tasse Kaffee – am besten mit Cognac. Allerdings musste sie für das was vor ihr lag, einen klaren Kopf bewahren.

Heute musste sie es endlich tun. Immer und immer wieder hatte sie mit Holger das Für und Wider abgewogen. Immer wieder waren sie zu dem gleichen Ergebnis gekommen: Andrea musste es ihm sagen. Sie musste Rainer sagen, dass sie ihn verlässt. Und dann musste sie es auch wirklich tun.

„Und wenn er mich nicht gehen lässt, dann bringe ich ihn halt um“, murmelte Andrea. Dieser Teil des Plans war nicht mit Holger abgestimmt, aber ihr half der Gedanke. Zur Bestätigung nickte sie. Wie sie Rainers Leben ein Ende setzen würde, wusste sie nicht. Ein Sturz von der Terrasse würde ihr gut gefallen. Das Penthouse lag in der siebten Etage. Rainers Ende wäre sicher, sie hätte die Sauerei nicht in der Wohnung und müsste nicht in Holgers 1 ½-Zimmer-Appartement umziehen.

Wenn sie sich jetzt nicht offenbaren und Rainer verlassen würde, würde Holger gehen. Das ahnte sie. Holger wollte Klarheit. Er konnte es kaum aushalten, dass Andrea nach einem wundervollen gemeinsamen Nachmittag zurück zu Rainer ging. Holger wollte Andrea ganz. Dabei war sie es, die aufpassen, immer auf der Hut sein musste. Sich nur nicht verplappern. Andrea und Rainer hatten sich schon seit Jahren nicht mehr viel zu sagen – endlich schien dieser Umstand zu etwas nütze. Zu Hause stellte sie die bekannte engagierte Businessfrau zur Schau. Immer in Hetze, von Termin zu Termin. Oft wunderte sie sich selbst, wie sie es schaffte, Zeit für Holger einzubauen. Offenbar war sie talentiert. Rainer jedenfalls schien keine Veränderung zu bemerken.

Andrea trat an das bodentiefe Fenster und blickte auf die große Terrasse. „Ihr mit euren beiden Fußballfeldern“, scherzte Andreas Bruder gerne in Anspielung auf Wohnzimmer und Terrasse des Penthouses. „Bald gehöre ich nicht mehr hierher“, dachte sie wehmütig. Das Leben mit Rainer hatte auch angenehme Seiten. Anders als Holger hatte Rainer niemals finanzielle Sorgen. Davon hatte Andrea durchaus profitiert.

Andrea schüttelte den Kopf. Nein, jetzt alten Zeiten nachtrauern, dafür war jetzt keine Zeit. Mit schnellen Schritten ging sie ins Schlafzimmer, um ein paar Sachen für die ersten Tage bei Holger zusammenzupacken. Den Rest könnte sie später holen.

Im Schlafzimmer hatte es sich der Kater auf dem Bett bequem gemacht. Als Andrea den Raum betrat, öffnete er faul ein Auge und drehte sich auf den Rücken, damit sie ihm besser den Bauch kraulen könnte. Andrea grinste. Dieser Kater! Sie durfte sein Lieblingskissen nicht vergessen.

Den gepackten Koffer stellte Andrea in den Schrank zurück. Er sollte Rainer nicht gleich ins Auge fallen, sollte er sich im Schlafzimmer für den Feierabend umziehen wollen.

Wenn sie mit Holger sprach, war der Plan ganz klar. Sie versuchte, sich in das sichere und geborgene Gefühl zurückzudenken, das Holger ihr gab. Mit dieser Erinnerung fühlte sie sich gewappnet. Sie setzte sich auf das Sofa und wartete.

Als sie Rainers Schlüssel im Schloss hörte, wurde ihr flau. „Hallo Schatz, schon zu Hause?“ rief er zu ihr herüber.

„Ja, hat heute alles ganz gut geklappt“, entgegnete sie.

„Gut! Andrea, wir müssen reden.“

Irgendetwas in Rainers Stimme beunruhigte sie. „Andrea“ hatte er zuletzt zu ihr gesagt, als er um ihre Hand angehalten hatte. Sonst war sie „Andi“ oder „Schatz“. Ahnte er doch etwas? Blick und Stimme waren sehr ernst. Andrea schluckte und holte tief Luft. Sie war darauf gefasst, sich verteidigen zu müssen. Sich und Holger. Und ihre Liebe. Sie öffnete den Mund, doch Rainer kam ihr zuvor.

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